Feststellungslast bei phasenweiser Testierunfähigkeit des Erblassers

BGB § 2229 Abs. 4, § 2247 Abs. 5

 

In seinem Beschluss 9 W 612/04 hat das Thüringer Oberlandesgericht entschieden, wie im Erbscheinsverfahren mit undatierten Testamenten umzugehen ist, wenn der Erblasser im fraglichen Zeitraum mehrfach testierunfähig war. Grundsatz ist, dass wer sich auf die Unwirksamkeit eines Testaments beruft, dessen Testierunfähigkeit beweisen muss. Hat das Testament jedoch keine Daten oder Anhaltspunkte, die eine konkrete Datierung erlauben, und steht fest, dass der Erblasser zu irgendeinem Zeitpunkt im in Betracht kommenden Zeitraum testierunfähig war, so kehrt sich die Feststellungslast um: Dann muss gerade derjenige, der Rechte aus diesem Testament herleitet, die Testierfähigkeit über den gesamten Zeitraum beweisen (analoge Anwendung des § 2247 Abs. 5 BGB).

Im Streitfall hatte die Beteiligte 2 (B 2) einen Erbschein beantragt, mit dem sie aus einem undatierten Eigenhändigkeitstestament ihrer Mutter E als Alleinerbin zu 100 % ausgewiesen werden sollte. Die Beteiligte 1 (B 1) machte dagegen geltend, E habe schon zwischen Oktober 2000 und Juli 2001 an einer mittelschweren vaskulären Demenz mit phasenweiser Verwirrtheit und Wahnvorstellungen gelitten, sodass sie im Fall punktueller Testierunfähigkeit kein gültiges Testament habe errichten können. Die Vorinstanzen nahmen jedoch eine Gesamtabwägung vor: Weil die Mutter in größeren Teilen des fraglichen Zeitraums durchaus noch klar denken und eigene Wünsche äußern konnte, sei sie insgesamt testierfähig gewesen.

Das OLG Hamm rügt diese Gesamtabwägung als unzulässig. Liegt – wie hier – nachgewiesenermaßen in einzelnen Momenten Testierunfähigkeit vor (etwa weil E “orientierungslos umherirrte” oder Stimmen hörte), so darf es nicht zugunsten eines länger andauernden “klaren Intervalls” verrechnet werden. Vielmehr muss das Gericht bei fehlender Datierbarkeit des Testaments anerkennen, dass B 2 die Testierfähigkeit über den ganzen Zeitraum beweisen muss. Konnte sie dies nicht – und hier konnte trotz umfassender Beweisaufnahme nicht feststehen, dass E in allen Teilabschnitten ihres Testamentserrichtungszeitraums die für wirksame Verfügungen erforderliche Einsicht besaß –, so scheidet eine Gültigkeit des Testaments aus und B 2 erhält keinen Erbschein.

Mit dieser Rechtsprechung macht das OLG Hamm deutlich, dass eine phasenweise Demenz oder Verwirrtheit des Erblassers die vollständige Testierfähigkeit nicht graduell beeinträchtigt wird, sondern dass schon ein einziger, vom Gericht nachgewiesener Ausfall der Einsichtsfähigkeit genügt, um ein Testament ohne Datum oder andere zeitliche Fixierung unwirksam werden zu lassen. Die Beweislast für die Testierfähigkeit über den gesamten in Betracht kommenden Zeitraum trifft in diesem Fall daher denjenigen, der sich auf das Testament und die hieraus abgeleiteten Rechte beruft.