Psychologische Fachgutachten zur Beurteilung der Dienstfähigkeit
Psychologische Begutachtungen gewinnen in verschiedenen Rechtsbereichen zunehmend an Bedeutung. Veränderte Anforderungen in der Arbeitswelt und steigende psychosoziale Belastungen tragen dazu bei, dass psychische und psychosomatische Erkrankungen heute zu den häufigsten Ursachen für Dienstunfähigkeit zählen. Auch im Kontext der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung kommt diesen Störungsbildern eine hohe Relevanz zu.
In einer Vielzahl rechtlicher Kontexte sind sachverständige Einschätzungen erforderlich – sei es zur dienstrechtlichen Beurteilung der Dienstfähigkeit, zur Klärung der Erwerbsfähigkeit oder im Rahmen von Leistungsansprüchen gegenüber Versicherungen.
Psychologische Gutachten werden insbesondere bei folgenden Fragestellungen eingeholt:
- Beurteilung der Dienstfähigkeit im Beamten- und Dienstrecht
- Bewertung der beruflichen Leistungsfähigkeit im Kontext von Berufsunfähigkeit oder Erwerbsminderung
- Einschätzungen zur psychischen Belastbarkeit im Rahmen von Renten- oder Regressverfahren
- Kausalitätsgutachten zur Beurteilung des Zusammenhangs zwischen Schädigung und Leistungsminderung
Auch in zivilrechtlichen und unfallrechtlichen Verfahren ist die psychologische Sachverständigentätigkeit bedeutsam – etwa bei der Regulierung immaterieller Schäden oder der Feststellung von dauerhaften gesundheitlichen Einschränkungen nach Unfällen.
Zentrale Fragestellungen betreffen dabei regelmäßig die Zumutbarkeit, Belastbarkeit und Prognose im Hinblick auf die konkrete berufliche Situation.
Fachpsychologische Begutachtung zur Dienstunfähigkeit und begrenzten Dienstfähigkeit
Die Voraussetzungen für die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit sowie für die Feststellung einer teilweisen bzw. begrenzten Dienstfähigkeit von Beamtinnen und Beamten sind in den §§ 26 und 27 BeamtStG geregelt. Die psychologische Beurteilung in diesem Kontext erfolgt auf Grundlage einer fachgutachtlichen Untersuchung unter Berücksichtigung der rechtlichen Maßgaben der §§ 26–28 BeamtStG.
Zentral ist dabei die Einschätzung, ob eine psychische Erkrankung in einem Ausmaß vorliegt, das die dauerhafte oder teilweise Erfüllung der dienstlichen Pflichten erheblich einschränkt. Berücksichtigt werden muss dabei auch, ob eine anderweitige Verwendung innerhalb des öffentlichen Dienstes möglich und zumutbar ist.
Psychologische Fachgutachten bei Kausalitätsfragen
Im Rahmen von Kausalitätsprüfungen nach psychischen Traumafolgestörungen, insbesondere im Zusammenhang mit einer möglichen PTBS, ist eine differenzierte psychologische Einschätzung unerlässlich.
Langzeitstudien belegen, dass es sowohl zu Spontanremissionen als auch zu verzögerten Verlaufsformen kommen kann, bei denen sich die Symptomatik erst Monate oder sogar Jahre nach dem belastenden Ereignis manifestiert. Der Verlauf einer posttraumatischen Belastungsstörung ist individuell sehr unterschiedlich und nur bedingt prognostizierbar.
Im Zentrum der Begutachtung steht die retrospektive Einschätzung des prämorbiden psychischen Zustands im Vergleich zur aktuellen Symptomatik, die mit einem konkreten Schadens- oder Unfallereignis in Verbindung gebracht wird. Dabei sind unter anderem zu beurteilen:
- das Vorliegen einer prämorbiden psychischen Störung,
- deren zeitlicher Verlauf und klinische Einordnung,
- mögliche funktionelle Beeinträchtigungen,
- sowie der Behandlungsbedarf vor und nach dem Ereignis.
Ziel ist es, den kausalen Zusammenhang zwischen Schadensereignis und psychischer Symptomatik nachvollziehbar und differenziert darzustellen.
Ein Fallbeispiel:
Frau C., 39 Jahre alt und seit 12 Jahren als Justizvollzugsbeamtin tätig, wird während der mittäglichen Ausgabe von Mahlzeiten und Medikamenten von einem Insassen unvermittelt gepackt, gegen eine Wand gedrückt und mit einem improvisierten Stichwerkzeug bedroht. Zwar greifen Kolleginnen und Kollegen rasch ein, doch die Beamtin erleidet Prellungen, eine Rippenfraktur und vor allem massive Todesangst. In den Monaten nach dem Vorfall entwickeln sich intrusive Erinnerungen, Flashbacks und eine ausgeprägte Vermeidung: Schon der Gedanke an das Dienstgelände löst Panikattacken aus, der tägliche Weg zur Arbeit wird unmöglich. Die klinische Diagnostik bestätigt eine Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1), und nach mehreren gescheiterten Wiedereingliederungsversuchen wird Frau C. als dienstunfähig eingestuft.
Rechtlich stellt das Geschehen einen Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 1 BeamtVG dar, weil es sich um ein plötzliches und von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis im Dienst handelt. Für die Versorgung kommt es jedoch nicht allein auf die Feststellung des Unfalls an. Damit ein erhöhtes Unfallruhegehalt (§ 42 BeamtVG) gewährt werden kann, muss das traumatische Erlebnis die „wesentliche Ursache“ der Dienstunfähigkeit sein (§ 34 Abs. 1 BeamtVG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (etwa BVerwG, Urt. v. 26.03.2009 – 2 C 73.08) genügt dabei nicht der rechtliche Vollbeweis, sondern die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Dienstunfall die maßgebliche Ursache war. Genau an dieser Stelle setzt das psychologische Fachgutachten im Sinne eines Kausalitätsgutachten an: Es soll unterscheiden, ob die PTBS nach dem Angriff rein unfallbedingt (monokausal), durch bereits vorhandene Verwundbarkeiten mitverursacht (multifaktoriell) oder überwiegend auf vorbestehende psychische Störungen zurückzuführen ist.
Im Kontext eines psychologischen Fachgutachtens werden hierzu zunächst u.a. früh und vorgeschichtliche Verläufe, u.a. bezogen auf die Dienstsituation, Lebensbiographie und Dienstunfallfolge rekonstruiert und die Diagnose u.a. mittels strukturierter Interviews und Fragebögen abgesichert. Anschließend erfolgt die Kausalanalyse u.a. in drei wesentlichen Schritten: Vollbeweis des Dienstunfalls, Vollbeweis der Gesundheitsstörung und Bewertung, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wesentlicher Ursachenzusammenhang besteht. Dabei werden konkurrierende Ursachen abgewogen, Leitlinien herangezogen und die Befunde in juristisch verwertbare Begriffe („wesentlich“, „teilursächlich“, „nicht ursächlich“) übersetzt. Die Ergebnisse sind für alle Folgeschritte entscheidend: Wird die PTBS als Dienstunfallfolge anerkannt, erhält die Beamtin Unfallruhegehalt und die Unfallfürsorge trägt Rehabilitations- und Therapiekosten; andernfalls greifen lediglich die allgemeinen Regelungen des Beamtenruhestandes.
Das Beispiel zeigt, dass bei Gewaltereignissen im Justiz- und Polizeidienst eine sorgfältige Abgrenzung zwischen Dienstunfallfolgen und vorgeschichtlichen Belastungen unverzichtbar ist. Ohne ein fachpsychologisches Kausalitätsgutachten bleibt unklar, ob und in welchem Umfang eine versorgungsrechtliche Anerkennung nach §§ 31 ff. BeamtVG gerechtfertigt ist. Erst die methodisch saubere Kausalklärung schafft eine rechtssichere Grundlage für Versorgungsansprüche und stellt sicher, dass Betroffene wie Frau C. die ihnen zustehende Unterstützung erhalten.
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Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit im Einstellungsverfahren
Im Rahmen von Auswahlverfahren für den Polizeivollzugsdienst wird regelmäßig ein psychologisches Fachgutachten erforderlich, wenn in der Vorgeschichte Hinweise auf psychische Störungen oder Auffälligkeiten bestehen.
Aus psychologischer Perspektive ist dabei zu beurteilen, ob und in welchem Ausmaß frühere psychische Erkrankungen die Eignung für den Polizeidienst beeinträchtigen können.
Gegenstand der Begutachtung ist zudem die Frage nach einer fortbestehenden Behandlungsbedürftigkeit sowie einer potenziellen Rückfall- oder Chronifizierungsgefahr. Dabei ist auch zu bewerten, ob eine zukünftige psychische Belastungsreaktion unter diensttypischen Anforderungen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist oder nicht.
Ein Fallbeispiel aus unserer Sachverständigenarbeit zur Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit
Laura K., 22 Jahre alt, hat sich nach dem Abitur für den mittleren Polizeivollzugsdienst beworben. Beim obligatorischen Gesundheitsfragebogen gab sie an, zwischen ihrem 15. und 17. Lebensjahr wegen einer restriktiven Essstörung (ICD-10: F50.1) in ambulanter kognitiv-verhaltenstherapeutischer Behandlung gewesen zu sein. Die Störung war damals mit ausgeprägter Gewichtsabnahme, ritualisiertem Essverhalten und übersteigerter Figurängstlichkeit einhergegangen; in der Hochphase lag ihr BMI bei 16,5 kg/m². Über insgesamt 18 Monate nahm sie wöchentliche Sitzungen wahr, bezog ihre Eltern in eine familientherapeutische Intervention ein und erhielt zusätzlich eine ernährungsmedizinische Beratung. Die Therapie endete vor fünf Jahren; seither liegt ihr Gewicht stabil im Normbereich, regelmäßige Nachsorgetermine blieben unauffällig.
Im polizeilichen Einstellungsverfahren werden Bewerberinnen und Bewerber mit psychischer Vorerkrankung aufgefordert, eine psychologische Begutachtung durchzuführen. Hintergrund ist das Anforderungsprofil nach den Polizeidienstvorschriften, das eine dauerhafte körperliche und psychische Belastbarkeit verlangt: Polizistinnen und Polizisten müssen Schichtdienst mit wechselnden Schlaf-Wach-Rhythmen verkraften, in Bedrohungslagen handlungs- und entscheidungsfähig bleiben und dürfen nicht durch psychische Erkrankungen gefährdet sein, die unter Stress rezidivieren könnten. Frühe psychische Störungen – etwa depressive Episoden, Angst- oder Essstörungen – bergen statistisch ein erhöhtes Risiko für Wiederauftreten, besonders wenn Belastungsspitzen oder Schlafdefizite hinzukommen. Das Gutachten soll deshalb feststellen, ob a) die frühere Erkrankung residual oder rezidivierend fortbesteht und b) eine relevante Rückfallwahrscheinlichkeit im dienstlichen Kontext vorliegt.
Laura stellt sich daraufhin hier zur Beurteilung der psychischen Ausgangslage in Relation zur Polizeidiensttauglichkeit vor. Die gutachterliche Untersuchung umfasst Aktenstudium, strukturiertes Interview, Essstörungsscreening, Persönlichkeitsdiagnostik und Belastungstests. Im Begutachtungsergebnis sind keine aktuellen Symptome objektivierbar: Das Essverhalten ist flexibel, das Gewicht konstant, Körperbild und Selbstwert sind nicht mehr übermäßig von Figur oder Leistung abhängig. Laura schildert belastbare Bewältigungsstrategien, betreibt Ausdauersport ohne Zwangscharakter und hat seit drei Jahren keine induzierten Gewichtsregulationen (z. B. Fasten, Erbrechen). Die psychometrischen Ergebnisse liegen durchweg im Normbereich; auch die Familienanamnese zeigt keine erkennbaren zusätzlichen Risikofaktoren.
Im Begutachtungsergebnis wird ein vollständig remittierter Verlauf der Essstörung ohne objektivierbare Hinweise auf Residualsymptome oder Komorbiditäten ersichtlich. Unter Berücksichtigung der Literatur wird die Rückfallwahrscheinlichkeit als gering eingeschätzt, sofern die Bewerberin u.a. weiterhin auf ausreichende Regenerationszeiten, regelmäßige Mahlzeiten und Selbstfürsorge achtet – Anforderungen, die auch gesunde Kolleginnen erfüllen müssen. Die Gutachterin schlussfolgert, dass „aus psychologischer Sicht keine Einwände gegen die Polizeidiensttauglichkeit bestehen“.
Das Beispiel hier zeigt dabei lediglich auszugsweise dargelegt, - , warum Polizeibehörden bei früheren psychischen Erkrankungen ein psychologisches Fachgutachten verlangen: Sie müssen das Spannungsfeld zwischen Fürsorgepflicht, Einsatzfähigkeit und Gleichbehandlung ausloten. Eine psychische Vorerkrankung ist kein pauschales Ausschlusskriterium; vielmehr entscheidet der Einzelfall. Psychologische Begutachtungen stellen dabei sicher, dass einerseits Bewerber mit hohem Rückfallrisiko erkannt werden, andererseits Genesene wie Laura K. nicht ungerechtfertigt von einer Polizeikarriere ausgeschlossen bleiben.
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