Aus der Rechtssprechung zur Polizeidiensttauglichkeit 

Gutachterliche Validierung der Polizeidiensttauglichkeit – Aktuelle verwaltungsgerichtliche Entscheidungen 2024 – Mai 2025

(Schwerpunkt: Einstellung / Versetzung wegen psychischer Vorerkrankungen)

Die Polizeiärztlichen Dienste prüfen heute nicht nur den Ist-Zustand eines Bewerbers oder Beamten, sondern immer stärker die Risikovorsorge: Wie wahrscheinlich ist ein krankheitsbedingter Ausfall in den nächsten Jahren? Die Oberverwaltungsgerichte und das Bundesverwaltungsgericht haben diesen Prognosemaßstab in mehreren neuen Beschlüssen präzisiert. Die folgenden Fälle zeigen, dass psychische Vorerkrankungen kein automatisches Ausschlusskriterium sind – aber strukturiertes Fachgutachten-Material entscheidendes Gewicht erhält.


 

1. BVerwG, Pressemitteilung 8/2025 (Urt. v. 13.02.2025 – 2 C 4.24)

Zukunftsprognose statt Diagnosestempel
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 13. Februar 2025 (2 C 4.24) – bekannt-gegeben in Pressemitteilung Nr. 8/2025 – entschieden, dass ein Bewerber für den Polizeivollzugsdienst, der aktuell vollständig dienstfähig ist, nur dann wegen einer Vorerkrankung abgelehnt werden darf, wenn konkrete Tatsachen eine Prognose rechtfertigen, dass er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (mehr als 50 Prozent) noch vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze dienstunfähig wird. Im zugrunde-liegenden Fall hatte das Land Rheinland-Pfalz einem Polizeikommissar-Anwärter die Übernahme ins Beamtenverhältnis auf Probe verweigert, weil er 2019 einen Schlaganfall erlitten hatte und aufgrund einer Faktor-V-Leiden-Mutation ein erhöhtes Risiko für weitere Thrombosen bestand. Der Bewerber hatte jedoch sein Studium samt allen sportlichen Leistungsnachweisen beendet und war symptomfrei. Das Gericht hob die ablehnende Entscheidung (und das sie bestätigende Berufungsurteil des OVG) auf: Ein strengerer Gesundheitsmaßstab für Polizeibeamte dürfe ohne gesetzliche Grundlage nicht angewendet werden; maßgeblich sei dieselbe 50-Prozent-Schwelle wie im allgemeinen Verwaltungsdienst. Ein bloß „deutlich erhöhtes“ Risiko oder pauschale Rückschlüsse aus der Diagnosestellung genügten nicht – entscheidend sei eine einzelfallbezogene, medizinisch fundierte Zukunftsprognose über die gesamte Restdienstzeit bis zur Pensionierung, nicht nur über die Ausbildungs- oder Probephase.


 

2. OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 17.01.2024 – 2 A 10587/23

„Erhöhtes Risiko bei PTBS reicht aus“ – aber nur mit belastbarer Evidenz
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 17. Januar 2024 – 2 A 10587/23 entschieden, dass ein Bewerber für den Polizeivollzugsdienst, der nach einem zivilen Unfall eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) erlitten hatte, trotz aktueller Stabilisierung als polizeidienstuntauglich eingestuft werden durfte. Ausschlaggebend war ein psychologisches Gutachten, das für zukünftige Einsatzlagen – insbesondere solche mit Schusswaffengebrauch – ein deutlich überdurchschnittliches Risiko flashbackartiger Re-Traumatisierungen feststellte. Dieses Gutachten stellte das Gericht in den Kontext der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift PDV 300, in der PTBS ausdrücklich als potenziell einsatzkritische Vorerkrankung aufgeführt ist. Damit sah der Senat die Gefahr dienstrelevanter Ausfälle als hinreichend belegte „belastbare Evidenz“ an. Er stellte klar, dass bereits ein signifikant erhöhtes Wiedererkrankungs- oder Eskalationsrisiko genügt, um die gesundheitliche Eignung zu verneinen, sofern diese Einschätzung nachvollziehbar medizinisch unterlegt ist; ein exakt bezifferter Wahrscheinlichkeitswert oder eine frühere dienstliche Dekompensation seien nicht erforderlich. Das Urteil verdeutlicht somit, dass bei sicherheitsrelevanten Tätigkeiten – wie dem Polizeivollzugs- oder Zolldienst – der Dienstherr eine Einstellung berechtigt ablehnen kann, wenn ein auf Sachverständigengutachten gestütztes Mehr-Risiko gegenüber gesunden Vergleichspersonen vorliegt. 


 

3. Saarl. OVG, Beschl. v. 28.10.2024 – 1 B 174/24

Vorläufige Einstellung trotz Jugend-ADHS
Mit Beschluss vom 5. September 2024 (1 B 174/24) hat das Saarländische Oberverwaltungsgericht einem Polizeibewerber, der in seiner Jugend wegen ADHS medikamentös behandelt worden war, die vorläufige Einstellung zugesprochen. Der Polizeiärztliche Dienst hatte die Bewerbung abgelehnt, obwohl der Kandidat seit sechs Jahren ohne Medikamente auskam und aktuelle neuro­psychologische Tests keinerlei Aufmerksamkeits- oder Leistungsdefizite mehr ergaben. Das Gericht hielt die Ablehnung für unverhältnismäßig: Eine lange Symptomfreiheit, unauffällige Testbefunde und stabile soziale Verhältnisse ließen keine konkrete Gefahr dienstrelevanter Ausfälle erkennen. Zugleich räumte es dem Dienstherrn die Möglichkeit ein, die weitere Probezeit engmaschig medizinisch-psychologisch zu begleiten, um einen etwaigen Rückfall frühzeitig zu erkennen. Damit betont das OVG, dass veraltete Jugenddiagnosen allein die Polizeidiensttauglichkeit nicht ausschließen dürfen; entscheidend ist stets eine aktuelle, einzelfallbezogene Funktionsbeurteilung.


 

4. OVG Niedersachsen, Urt. v. 26.03.2025 – 5 LC 58/22

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 26. März 2025 (Az. 5 LC 58/22) die Versetzung eines 60-jährigen Polizeikommissars in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit bestätigt. Der Senat erinnert zunächst daran, dass ein Polizeibeamter nur dann dienstunfähig ist, wenn er keinen der seinem Statusamt entsprechenden Dienstposten mehr wahrnehmen kann; kann er dagegen noch auf irgendeinem geeigneten Posten eingesetzt werden, besteht Dienstfähigkeit fort. Daraus folgt eine Such- und Verwendungspflicht des Dienstherrn (§ 26 Abs. 1 S. 3 BeamtStG). 

Im konkreten Fall litt der Kläger seit Jahren an COPD, chronischen Schmerz- und Muskelbeschwerden sowie rezidivierenden Depressionen. Fachgutachten bescheinigten dauerhaft erhebliche Einschränkungen für Schicht-, Streifen- und Einsatzdienst. Das Land prüfte deshalb eine Umsetzung in den Innendienst bzw. in den allgemeinen Verwaltungsdienst. Das OVG akzeptierte, dass alle realistischen Alternativen ausschieden: Die nur theoretisch mögliche zweijährige Qualifizierungsmaßnahme für die Verwaltung hätte den gesundheitlichen Rahmen des Klägers „offensichtlich überstiegen“. 

Der Senat betonte, dass auch die PDV 300 (polizeiärztliche Richtlinie) keine starre Ausschlussliste sein darf: Sie muss Raum für Einzelfall-Abweichungen lassen. Doch selbst unter dieser Vorgabe fand sich hier kein ausfüllbarer Dienstposten. Damit sei die Ruhestandsversetzung rechtmäßig; die Klage wurde abgewiesen, die Kosten trägt der Beamte. 

Kernpunkte für die Praxis


 

5. OVG NRW, Beschl. v. 02.05.2025 – 1 B 242/25

Einstellung des Verfahrens nach positiver Zweitbegutachtung
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat das Beschwerdeverfahren eines Bundespolizisten, der die vorläufige Beförderung in ein Amt der Besoldungsgruppe A 12 begehrte, am 2. Mai 2025 eingestellt. Nachdem alle Beteiligten den Rechtsstreit Mitte April 2025 übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, stellte der 1. Senat das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO ein und erklärte zugleich den erstinstanzlichen Beschluss des VG Köln (15 L 2316/24) mit Ausnahme der Streitwert­entscheidung für wirkungslos.

Für die Kostenverteilung prüfte das Gericht, ob die Beschwerde bei fortbestehendem Streit voraussichtlich Erfolg gehabt hätte. Es kam zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller voraussichtlich unterlegen wäre und legte ihm daher die Kosten beider Instanzen auf (§§ 161 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO). Ausschlaggebend war die – nur noch hypothetische – Feststellung, dass die vom VG Köln verneinte Beförderungsreife des Beamten rechtlich wohl zutreffend bewertet worden war: Nach § 30 Abs. 5 BPolLV a. F. endete der begrenzte Praxisaufstieg für den gehobenen Polizeivollzugsdienst regulär bei A 11; aus Art. 33 Abs. 2 und 5 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG lasse sich kein Anspruch auf weitergehende Beförderungsmöglichkeiten ableiten.


 

6. VG Aachen, Urt. v. 26 02 2025 – 1 K 1304/23

Am 26. Februar 2025 hat das Verwaltungsgericht Aachen (1 K 1304/23) die Bundespolizei verpflichtet, über die Bewerbung eines jungen Mannes mit heterozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation neu zu entscheiden. Die Behörde hatte ihn wegen eines angeblich „nicht ausräumbaren“ Thromboserisikos aus dem Auswahlverfahren ausgeschlossen und sich dabei allein auf die Ausschlussliste der PDV 300 sowie auf allgemeine Einschätzungen ihres Polizeiärztlichen Dienstes gestützt. 

Das Gericht stellte klar, dass eine genetische Disposition ohne klinische Symptome die Polizeidiensttauglichkeit nicht automatisch entfallen lässt. Maßgeblich seien eine individuelle, medizinisch fundierte Zukunftsprognose und der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte 50-Prozent-Maßstab für die Wahrscheinlichkeit vorzeitiger Dienstunfähigkeit. Ein bloßer Hinweis auf ein „gesteigertes“ Risiko reiche nicht aus. 

Zudem dürfe die Behörde das Testergebnis überhaupt nicht verwerten: Nach dem Gendiagnostikgesetz ist die Erhebung und Verwendung genetischer Befunde im Einstellungsverfahren untersagt, solange keine konkreten Krankheitssymptome vorliegen (§§ 19 Nr. 2, 22 GenDG). 

Das Gericht verwies darauf, dass das in Studien genannte (fünf- bis sechsfach) erhöhte Thromboserisiko bei dieser Mutation etwa dem Risiko entspricht, das der Dienstherr bei Frauen akzeptiert, die östrogenhaltige Kontrazeptiva einnehmen. Eine pauschale Ablehnung wäre daher unverhältnismäßig. 

Ergebnis: Der Bescheid wurde aufgehoben; die Bundespolizei muss den Bewerber erneut – und diesmal ohne Rückgriff auf das genetische Merkmal – in das Auswahlverfahren einbeziehen und seine gesundheitliche Eignung nach den üblichen Prognosekriterien prüfen.

 

Was bedeuten diese Beschlüsse für Bewerber und Dienstherren?

 

Damit zeigt die neueste Dienstrechtsprechung: Die Polizei braucht fitte, psychisch belastbare Kräfte – sie darf Bewerberinnen und Bewerber mit erfolgreicher Therapie oder stabiler Remission aber nicht vorschnell ausschließen. Ein fundiertes psychologisches Gutachten, das Verlauf, Therapieerfolg und Restrisiko nachvollziehbar darstellt, ist der Schlüssel für eine faire Entscheidung.

 

 

Psychologische Fachgutachten zur Beurteilung der Dienstfähigkeit