Schizophrenie – Klinisches Bild, Kognition und neurobiologische Grundlagen
Schizophrenie ist eine schwere psychotische Störung mit weitreichenden Auswirkungen auf Wahrnehmung, Denken, Emotionen, Antrieb und kognitive Funktionen. Sie ist keine einheitliche Erkrankung, sondern umfasst ein heterogenes Spektrum psychopathologischer Erscheinungsbilder mit variablem Verlauf und Outcome.
Klassifikation in ICD-11 und DSM-5-TR
In der ICD-11 wird die Schizophrenie unter „Schizophrenia or other primary psychotic disorders“ eingeordnet.
Im DSM-5-TR ist sie Teil der Kategorie „Schizophrenia Spectrum and Other Psychotic Disorders“. Zur Diagnose erforderlich sind unter anderem:
- Wahn,
- Halluzinationen,
- desorganisiertes Denken/Sprechen,
- grob desorganisiertes oder katatones Verhalten,
- Negativsymptome (z. B. Affektverflachung, Avolition).
Die Störung muss über mindestens sechs Monate bestehen, wobei mindestens ein Monat lang akute Symptome vorliegen müssen.
Kognitive Defizite bei Schizophrenie (CIAS)
Neben den bekannten Positivsymptomen (z. B. Halluzinationen, Wahn) und Negativsymptomen (z. B. sozialer Rückzug, Anhedonie, Apathie) sind kognitive Defizite ein zentrales Merkmal der Erkrankung, häufig bereits vor Ausbruch erkennbar und unabhängig von psychotischen Episoden dauerhaft präsent.
Die Gesamtheit dieser Defizite wird heute als „Cognitive Impairment Associated with Schizophrenia (CIAS)“ bezeichnet.
Bis zu 85 % der Betroffenen zeigen kognitive Beeinträchtigungen, die sich massiv auf Alltagsbewältigung, Therapieadhärenz und soziale Teilhabe auswirken.
Typische kognitive Einschränkungen betreffen:
- Aufmerksamkeit (z. B. selektive und geteilte Aufmerksamkeit)
- Arbeitsgedächtnis
- exekutive Funktionen (Planung, Problemlösen, mentale Flexibilität)
- episodisches und verbales Gedächtnis
- soziale Kognition (z. B. Emotionserkennung, Perspektivübernahme)
- Verarbeitungsgeschwindigkeit
- in geringerem Maße: semantisches, visuelles und prozedurales Gedächtnis
Diese neurokognitiven Defizite korrelieren stärker mit psychosozialer Funktionsfähigkeit als die Positivsymptome.
Psychopathologische Tiefe: Störung des Selbst
Schizophrenie betrifft nicht nur einzelne psychische Funktionen, sondern das Erleben des „Selbst“ in seiner Ganzheit – etwa durch:
- Ich-Störungen (Gedankeneingebung, -entzug, -ausbreitung),
- Wahrnehmungsverzerrungen,
- Affektverflachung oder Ambivalenz,
- Auflösung der intentionalen Steuerung (z. B. im Willensvollzug).
Die Erkrankung betrifft die tiefsten Ebenen der psychischen Organisation und führt zu einem Einbruch der Selbstkohärenz.
Neurobiologische Grundlagen
Die Ätiologie ist multifaktoriell und hochkomplex. Es liegt eine genetisch bedingte Vulnerabilität zugrunde, die mit neurodevelopmentalen und neurochemischen Abweichungen interagiert. Wichtige Erkenntnisse umfassen:
- Heritabilität ~ 80 % (Sullivan et al., 2003) – eine der höchsten in der Psychiatrie
- Polygenetische Risikomuster – kein mendelscher Erbgang, aber familiäre Häufung
- Veränderte Neurotransmission (v. a. Dopamin-Hypothese, Glutamat-Modell)
- Strukturelle und funktionelle Hirnveränderungen (z. B. verminderte dorsolaterale präfrontale Aktivität, gestörte Konnektivität im Default Mode Network)
Neurokognitive Dysfunktionen stehen im Zusammenhang mit präfrontalen und temporalen Dysregulationen sowie einer gestörten Integration kortikaler und subkortikaler Informationsverarbeitung.
Interaktion von Emotion, Kognition und Wahrnehmung
Die Schizophrenie zeigt eindrücklich, dass Emotionen, subjektives Erleben und exekutive Steuerung auf komplexe Weise ineinandergreifen. Wichtige Prinzipien sind:
- Dissoziation von Affekt und Kognition
- gestörte Emotionsregulation trotz emotionaler Reaktivität
- Mangel an metakognitiver Selbstreflexion
- gestörte Integration von Selbst- und Weltbezug
Ein modernes Verständnis der Schizophrenie verlangt neurokognitive und phänomenologische Perspektiven gleichermaßen.
Psychologische Fachgutachten zur Beurteilung der Auswirkungen einer schizophrenen Erkrankung
Im Kontext der psychologischen Sachverständigentätigkeit ergeben sich auch vielfach gerichtliche Fragestellungen zu den Auswirkungen einer schizophrenen Erkrankung. Dies kann z.B. im Kontext der Geschäftsfähigkeit sein, wenn es um die gutachertliche Einschätzung einer einzelnen oder auch überdauernden Symptomatik im Formenkreis der Schizophrenie geht. Vielfach kann es dazu gekommen, dass die Geschäftsfähigkeit durch die bei der schizophrenen Erkrankung auch ausgelösten kognitiven Symptomatik eingeschränkt oder aufgehoben ist.
Auch z.B. in familiengerichtlichen Fragestellungen ergeben sich Sachverständigenbeurteilungen bezogen auf die Auswirkung der schizophrenen Erkrankung auf die Beziehungs- und Erziehungsfähigkeit.
Zu den Negativsymptomen der Schizophrenie gehören eine Veränderung der affektiven Regulationsfähigkeit, eine Verarmung der sprachlichen und non-verbalen Expressivität sowie Störungen in der sozialen Interaktionsfähigkeit. Auch hierdurch werden die Beziehungs- und Erziehungsfähigkeit erheblich beeinflusst. In diesem Zusammenhang stellen sich z.B. die Fragen nach den konkreten Auswirkungen der Erkrankungssymptomatik sowie möglichen Interventionsmaßnahmen. Hierzu ist eben auch eine konkrete am Einzelfall orientierte Beurteilung der Erkrankungsfolgewirkungen erforderlich, weil sich das schizophrene Erkrankungsbild unterschiedlich abbilden und v.a. auch im Verlauf eine eigenständige Dynamik annehmen kann. Aufgurnd der durch die Erkrankung auch ausgelösten kognitiven Störungen sind häufig auch basalere Fähigkeiten, wie die Emotionserkennung, aber auch komplexere Funktionen, wie z.B. Empathie, gedankliche Perspektivenübernahme und soziales Problemlösen, zeitweise, z.T. auch länger im Zeitverlauf vorliegend, betroffen.
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