Fachgutachten im Erbrecht

Demenzielle Erkrankungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen bei erbrechtlichen Auseinandersetzungen, da Demenzen schon im Frühstadium vor allem durch kognitive Einschränkungen und daraus folgenden Verhaltensstörungen gekennzeichnet sind. 

Die Fähigkeit, ein Testament zu errichten, setzt nach allgemeiner Meinung die Vorstellung des Testierenden voraus, dass er ein Testament errichtet und welchen Inhalt die darin enthaltenen letztwilligen Verfügungen aufweisen

Rechtspraktischer Anknüpfungspunkt diesbzgl. gerichtlicher Auseinandersetzungen sind dabei häufig erbrechtliche Streitigkeiten, die auftreten, wenn der Erblasser im hohen Alter zum Nachteil naher Angehöriger (z.B. seines Ehegatten oder seiner Kinder) eine dritte Person testamentarisch begünstigt, und in denen  häufig mit Verweis auf die mangelnde Testierfähigkeit des Erblassers (z.B. aufgrund einer Demenzerkrankung) - die Gültigkeit des Testaments bestritten wird. 


Dementielle Erkrankungen und Auswirkungen auf die Testierfähigkeit

Unter dem Begriff “Demenz” versteht man ein Syndrom, welches meist auf einer chronischen oder fortschreitenden Erkrankung des Gehirns beruht und mit einer Beeinträchtigung mehrerer höherer kortikaler Funktionen einhergeht. Kennzeichnend für dementielle Erkrankungen sind insbesondere Störungen des Gedächtnis sowie Beeinträchtigungen weiterer höherer kortikaler Funktionen wie u.a. Störungen der Orientierung, der Sprache und der Urteilsfähigkeit. 
 

Beurteilung der Testierfähigkeit bei dementiellen Erkrankungen 

In gerichtlichen Verfahren geht es vielfach um die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit und Testierfähigkeit. Das Erbrecht und die Testierfreiheit gründen auf dem Grundgesetz (Art. 14 Abs. 1 Satz 1). Die Testierfähigkeit ist Voraussetzung, um ein Testament wirksam errichten, ändern oder aufheben zu können. Störungen des Gedächtnisses, insbesondere des Neugedächtnisses, werden von der Rechtsprechung als ein wichtiger Anhaltspunkt für eine Testierunfähigkeit angesehen. In solchen Fällen werden häufig gerichtliche Sachverständigengutachten erforderlich. Dabei erfordert die Testierfähigkeit, dass der Erblasser Inhalt und Tragweite seiner Verfügung erkennen und die für und gegen seine Entscheidung sprechenden Gründe frei und unbeeinflusst abwägen konnte. 


Wie läuft die Beurteilung der Testierfähigkeit ab?

Erbrechtliche Auseinandersetzungen bezogen auf die Beurteilung der Testierfähigkeit erfolgen zumeist nach dem Tod des Erblassers. Gerichtlicherseits stellt sich dann die Frage, ob der letzte verfügte Wille seitens des Erblassers rechtlich als zulässig eingeordnet werden kann, sprich dieser nicht krankheitsbeeinflusst gewesen ist.

Als Beweismittel für die Beurteilung gerichtlicher Fragestellungen in Zusammenhang mit der Testierfähigkeit kommen in erster Linie Sachverständigengutachten in Betracht. 


Was genau bedeutet das?

Bei dementiellen Erkrankungen ergeben sich mit Blick auf die Errichtung, die Änderung oder auch bzgl. des Widerrufs einer Verfügung von Todes wegen durch einen an Demenz erkrankten Erblasser wesentliche Aufgaben für die Gerichte als Entscheidungsträger sowie hierdurch ausgelöste gutachterliche Beurteilungsfragestellungen für die gerichtliche Sachverständigentätigkeit. 

Bei gutachterlichen Untersuchungen zur Frage der Testierfähigkeit bei dementiellen Erkrankung wird die Testierfähigkeit des Erblassers im Kontext einer Einzelfallvalidierung, zumeist nach Aktenlage, im Verhältnis zur Testierfähigkeit hinsichtlich des gegenständlichen Datums analysiert. Zunächst wird beurteilt, um welche Form der dementiellen Erkrankung es sich handelt, sodann wird herausgearbeitet, wie sich die jeweilige dementielle Erkranung auf die Testierfähigkeit auswirkend zeigt. 
 

Wie genau lässt sich die Testierfähigkeit im gerichtlichen Verfahren nach Aktenlage beurteilen?

Die Testierfähigkeit eines an Demenz erkrankten Erblassers ist stets individuell und anhand des Gesamtverhaltens festzustellen. Alleine das Vorliegen einer Demenzerkrankung begründet noch keine Testierunfähigkeit, da eine solche grundlegend voraussetzt, dass sich die kognitive Störung als Folge einer dementiellen Erkrankung tatsächlich auch kausal auswirkend zeigt. Eine Demenz ist jedoch eine Erkrankung, die bei entsprechenden Fortschreiten Auswirkungen auf die Testierfähigkeit aufzeigt. Entsprechend ist hierbei in erster Linie die Beurteilung des Schweregrades einer dementiellen Erkrankung, sprich die Fragestellung, in wie weit die dementielle Erkrankung bereits fortgeschritten ist und hierbei die Gedächtnisfunktionen beeinträchtigt worden sind. 
 

Mittlere Demenz und Testierunfähigkeit

Aus der Fachliteratur sowie unter erbrechtlicher Bezugnahme wird ersichtlich, dass ab einer mittelschweren Demenz von einer Testierunfähigkeit auszugehen ist. Ab diesem Zeitpunkt ist in der Regel davon auszugehen, dass die Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und der intellektuellen Fähigkeiten krankheitsbedingt weit fortgeschritten sind, sprich der Erblasser in der Regel nicht mehr uneingeschränkt in der Lage ist, eine Urteils- und Willensbildung in Zusammenhang mit der Testamentverfügung vorzunehmen sowie die Tragweite der letztwilligen Verfügung zu erfassen sowie auch in den Folgeauswirkungen zu erkennen. 
 

Sachverständigengutachten zur Beurteilung der Geschäftsfähigkeit bei dementiellen und psychischen Erkrankungen

Unter Geschäftsfähigkeit versteht man die Fähigkeit, Willenserklärungen wirksam abzugeben und entgegenzunehmen; sie ist also Voraussetzung dafür, selbstständig (und nicht nur durch gesetzliche Vertreter) am Privatrechtsverkehr teilzunehmen (Köhler, 2022, § 10 Rn. 1). Eine Bindung an Willenserklärungen soll nur dann eintreten, wenn der Handelnde über eine bestimmte geistige Reife und Willenskraft verfügt – anderenfalls sind seine Willenserklärungen grundsätzlich nichtig, sodass er vor deren negativen Folgen geschützt ist. Dabei stellt das Gesetz in den meisten Fällen auf feste Altersgrenzen ab, teilweise kommt es aber auch auf die konkrete Fähigkeit zur freien Willensbildung an, zu deren Feststellung Sachverständige herangezogen werden können. 

Das Gesetz unterscheidet in den §§ 104 ff. BGB zwischen Geschäftsunfähigen, deren Willenserklärungen nach § 105 Abs. 1 BGB grundsätzlich nichtig sind (Ausnahme: Abschluss geringwertiger Geschäfte des täglichen Lebens durch volljährige Geschäftsunfähige, § 105a S. 1 BGB), beschränkt Geschäftsfähigen, deren Willenserklärungen in der Regel der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters bedürfen (§§ 106 ff. BGB), und voll Geschäftsfähigen. 

Geschäftsunfähig ist einerseits jedes Kind, das das siebte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, andererseits jeder, der „sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließen- den Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist“ (§ 104 BGB). Beschränkt geschäftsfähig ist, wer das siebte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat (§§ 106, 2 BGB). 

Dementsprechend ist voll geschäftsfähig jeder, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich nicht in einem nicht nur vorübergehenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Auch die Willenserklärung eines voll Geschäftsfähigen kann aber nach § 105 Abs. 2 BGB nichtig sein, wenn die konkrete Willenserklärung „im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird“; die Bewusstlosigkeit umfasst bereits Fälle der Bewusstseinstrübung, die die Erkenntnis des Inhalts und des Wesens der vorgenommenen Handlung aus- schließt (Schneider, 2022a, § 105 Rn. 13). 

Darunter können z. B. schwere Rauschzustände fallen, etwa eine Alkoholintoxikation ab ca. 3 Promille Blutalkoholkonzentration (Cording, 2011, S. 236 f.). Eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit nach § 105 Nr. 2 BGB unterscheidet sich von dem nicht nur vorübergehenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit in § 104 Nr. 2 BGB nur durch ihre kurze Dauer, im Übrigen sind die Anforderungen an die krankhafte Störung der Geistestätigkeit, die die freie Willensbildung ausschließen muss, identisch (Schneider, 2022a, § 105 Rn. 16).

 

Alzheimer verändert Gedächtnis, Denken und Alltagsfähigkeiten – schleichend, aber unumkehrbar.

Die Alzheimer’sche Demenz ist eine irreversible Form der Demenz und gilt als weltweit häufigste neurodegenerative Erkrankung. Der wichtigste Risikofaktor für diese Krankheit ist das Alter, allerdings ist noch unklar, warum. Bekannt ist, dass die Isolierschicht um Nervenzellen im Gehirn, auch als Myelin bezeichnet, im Alter degeneriert. Der Verlauf ist individuell, folgt jedoch bestimmten Mustern. Die Einteilung in vier Stadien bietet eine hilfreiche Orientierung und ist teilweise auf andere fortschreitende Demenzformen anwendbar.


1. Leichte kognitive Störung (Mild Cognitive Impairment, MCI)

In dieser frühen Phase treten leichte Beeinträchtigungen des Denkens und Erinnerns auf, die im Alltag zunächst kaum einschränken. Menschen mit MCI nehmen Veränderungen manchmal selbst wahr, doch oft fällt sie zuerst Angehörigen auf. In Tests sind diese Defizite nachweisbar, doch sie gelten noch nicht als Demenz.

Alltag und Beruf: 

MCI und das Risiko für Demenz:


2. Frühes Alzheimer-Stadium

In diesem Stadium zeigt sich zunehmend Vergesslichkeit im Alltag, insbesondere was das Kurzzeitgedächtnis betrifft. Es wird schwieriger, neue Informationen zu behalten. Gespräche sind anstrengender – oft fehlen Worte oder der Gedanke geht verloren. Gegenstände wie Schlüssel oder Brille werden häufiger verlegt.

Hinzu kommen erste Probleme mit der Orientierung in Raum und Zeit. Viele alltägliche Aufgaben – wie einkaufen, kochen oder die Wäsche machen – gelingen noch gut. Bei komplexeren Aufgaben, wie  einer Banküberweisung, ist jedoch oft Hilfe nötig.

Viele Menschen mit Demenz merken nun deutlich deutlich, dass etwas nicht stimmt. Aus Scham oder Unsicherheit versuchen sie, ihre Schwierigkeiten zu verstecken. Sie ziehen sich zurück und meiden ungewohnte Situationen.

Auch die Stimmung kann sich verändern: Manche Menschen sind leichter reizbar, andere traurig oder verunsichert. Es kann auch zu Stimmungsschwankungen oder depressiven Phasen kommen.


3. Mittleres Stadium

Jetzt wird die Krankheit deutlich sichtbar. Neben dem Kurzzeitgedächtnis ist nun auch das Langzeitgedächtnis beeinträchtigt.

Viele Erinnerungen an das eigene Leben treten in den Hintergrund – zum Beispiel daran, welchen Beruf man ausgeübt hat oder ob man verheiratet war. Frühe Kindheitserinnerungen bleiben oft erhalten und erscheinen besonders lebendig.

Was sich zeigt:

In diesem Stadium ist eine selbstständige Lebensführung nicht mehr möglich. Es wird zunehmend Hilfe und Unterstützung im Alltag benötigt.


4. Spätes Stadium / Endstadium

Im Endstadium sind die Erkrankten vollständig auf Pflege angewiesen. Kognitive und körperliche Fähigkeiten sind stark eingeschränkt, selbst grundlegende Tätigkeiten wie Essen, Gehen oder Sprechen sind kaum möglich.


Typische Veränderungen:


Im Endstadium haben Menschen mit Demenz ein zunehmend geschwächtes Immunsystem und werden anfälliger für Infektionen. Lungenentzündungen und Atemwegsinfektionen sind daher eine häufige Todesursache bei Menschen mit Alzheimer.

 

Gedächtnisstörung 

Gedächtnisstörungen gehören zu den häufigsten Klagen v.a. von älteren Menschen und auch bei neuropsychologischen Störungen. Gedächtnisstörungen können isoliert bei einem amnestischen Syndrom oder im Zusammenhang mit weiteren neuropsychologischen und psychopathologischen Symptomen bei anderen Syndromen (v.a. beim demenziellen Syndrom) vorkommen. Wenn im Alter Gedächtnisstörungen isoliert, d.h. ohne weitere Hirnfunktionsstörungen auftreten, werden diese in der internationalen medizinischen Literatur als »amnestic mild cognitive impairment« (aMCI) be- zeichnet. Das Konzept der »leichten kognitiven Störung» (Mild Cognitive Impairment, MCI) unterscheidet reine Gedächtnisstörungen (aMCI) von anderen leichteren kognitiven Störungen. In der ICD-11 (WHO 2019) wird keine entsprechende Differenzierung vorgenommen (ICD-11: 6D71).
 

Informationsverarbeitung und Urteilsbildung

Die Informationsverarbeitung umfasst die wesentlichen Teile dessen, was allgemein als Intelligenz bezeichnet wird. Die Fähigkeiten, Informationen zu verarbeiten, können sich im Lauf der kindlichen Entwicklung unterschiedlich ausbilden. Sie sind bildungsabhängig. Für die Verarbeitung aufgenommener Informationen ist es notwendig, diese behalten und sie sowie die Ergebnisse der Informationsverarbeitung langfristig speichern zu können. Also stellt eine ausreichende Funktionsfähigkeit des Gedächtnisses eine unabdingbare Voraussetzung für die Informationsverarbeitung dar. 

Eine Beurteilung dient also dazu, zu einer Wertung zu kommen. 

Bei verschiedenen Möglichkeiten ist es Ziel der Beurteilung, die für den Betreffenden aktuell bestmögliche Alternative für eine ihn betreffende oder von ihm selbst aufgeworfene Frage oder Problem zu finden (»Lösung«). Zur Urteilsbildung ist der Rückgriff auf bisher im Leben gemachte Erfahrungen und Gelerntes unabdingbare Voraussetzung, da nur hieraus die persönlichen Bewertungsmaßstäbe abgeleitet werden können. Auf der Basis dieser individuellen Wertvorstellungen können.


Prozess der Willensbestimmung

Nicht nur die rechtliche Lage, sondern auch die Begrifflichkeit ist komplex, daher wird hier ein Versuch unternommen, den Prozess der Willensbestimmung darzustellen. 


Die Willensbestimmung umfasst drei wesentliche Aspekte:

Willensbildung: Hiermit ist der Prozess gemeint, aus einem Motiv, das in einer Idee oder einem Gedanken, der auf der Lebenserfahrung des Betreffenden aufbaut, bestehen oder auf einem Gefühl (z. B. Hunger) beruhen kann,

Urteilsbildung: durch Abwägen auf dem Boden der im Leben gemachten Erfahrungen und der daraus abgeleiteten Wertmaßstäbe die verschiedenen Möglichkeiten zur Erreichung des Ziels (z. B. essen, um den Hunger zu stillen) herauszuarbeiten und zu beurteilen, um Willensentschluss: dann aus diesen Möglichkeiten eine auszuwählen und umzusetzen.
 


Dieser Willensentschluss kann sich in verschiedenen Formen einer Willenserklärung manifestieren:
 
•           Handlung (z.B. Unterschreiben einer vorbereiteten Vereinbarung)
•           Schriftliche Willenserklärung (z.B. Schreiben eines Testaments) 
            oder bei der mündlichen Willensäußerung (z.B. Anruf beim Notar 
            zur Terminvereinbarung für Vertragsabfassung und dortige 
            Erörterung der Vertragsbestandteile)

 

Fachgutachten für das Rechtsgebiet Erbrecht werden in unserem Hause für nachfolgende Fragestellungen primär im gerichtlichen Auftrag erstellt:
 

Das Vorliegen der Voraussetzungen der Testierunfähigkeit i.S. V. § 2229 Abs. 4 BGB kann in der Regel nicht vom Gericht allein ermittelt werden, sondern nur mit HIlfe eines Sachverständigengutachtens. Der Gerichtssachverständige hat im Kontext der Sachverständigenarbeit v.a. zu beurteilen, ob eine krankheitsbedingte Auswirkung auf die Testierfähigkeit vorliegend ist oder nicht. Hierbei ist v.a. die Frage zu beurteilen, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung imstande gewesen ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer z.B. dementiellen Erkrankung zu bilden und nach eigenen Einsichten zu handeln.
 

 

 

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