Aus der obergerichtlichen Dienstrechtsrechtsprechung

Aus der obergerichtlichen Dienstrechtsrechtsprechung 

Psychische Belastungsstörungen – allen voran Depression und PTBS – sind inzwischen der häufigste Auslöser für Anträge auf Versetzung in den Ruhestand nach § 44 BBG bzw. § 26 BeamtStG. Die Oberverwaltungsgerichte und das Bundesverwaltungsgericht haben in den letzten 18 Monaten die Leitplanken für Amtsärztliche Begutachtung, Prognosemaßstab und Kausalitätsbeweis deutlich nachgeschärft. Nachfolgend die wichtigsten Beschlüsse, jeweils einzeln erläutert; relevante Passagen sind fett hervorgehoben.

 


1 | BVerwG, Beschl. v. 16. 04. 2020 – 2 B 5/19

„Diagnose ≠ Ruhestand: Prognosezeitraum nur sechs Monate“
Der 2. Senat erinnert daran, dass eine Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit prognostisch feststehen muss. Maßstab ist der Sechs-Monats-Horizont des § 44 Abs. 1 S 2 BBG; die bloße Feststellung einer (hier: mittelgradigen) Depression genügt nicht. Auch Leitlinien oder Fragebögen ersetzen kein qualifiziertes Fachgutachten. Zudem müsse der Dienstherr vor einer Ruhestandsversetzung prüfen, ob begrenzte Dienstfähigkeit (§ 44 Abs. 1 S 3 BBG) oder anderweitige Verwendung noch in Betracht kommen. 

 


2 | OVG Niedersachsen, Beschl. v. 31. 03. 2025 – 5 LA 64/24

„PTBS als Dienstunfallfolge: Ereignis und Symptome lückenlos belegen“
Das Gericht bestätigte die Teilrücknahme einer Anerkennung, weil die Beamtin ihre PTBS erst Jahre nach einem tätlichen Überfall nachmeldete. Es präzisiert die Hinweispflichten des § 45 BeamtVG: Wer psychische Spätfolgen geltend machen will, muss innerhalb von zwei Jahren konkrete Belastungssymptome melden oder später die Drei-Monats-Frist (§ 45 Abs. 2 S 2) einhalten. Gutachten dürfen sich nicht auf „mehrfach belastende Einsätze“ beschränken; Flashbacks, Albträume, Schreckhaftigkeit etc. müssen zeitnah dokumentiert sein.

 


3 | BayVGH, Beschl. v. 23. 12. 2024 – 3 ZB 24.304

„Burn-out“ reicht nicht: objektive Verlaufsdaten erforderlich
Bei einer Lehrerin, die wegen Erschöpfungssymptomen in den Ruhestand versetzt worden war, wies der Senat den Zulassungsantrag ab. Leitsatz 1 betont, dass die Wiederherstellungsprognose nur tragfähig ist, wenn aktuelle Fachgutachten den Gesundheitszustand abbilden; Fragebögen oder subjektive Angaben ersetzen keine Therapeutenberichte, Medikationslisten oder AU-Zeiten. Ohne solche „objektiven Verlaufsparameter“ bleibt eine angebliche Dienstunfähigkeit „nicht hinreichend objektivierbar“. 

 


4 | OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 02. 12. 2024 – 10 N 74/23

„SSRI-Therapie ist kein Ausschlusskriterium“
Ein Verwaltungsbeamter nahm dauerhaft Sertralin zur Rückfallprophylaxe bei Depression. Der Dienstherr sah ein Sicherheitsrisiko. Das OVG stellt klar: Medikamentös stabile Remission spricht eher für Dienstfähigkeit; entscheidend sind Nebenwirkungen (Sedierung, Fahrtüchtigkeit) und ein aktuelles Gutachten. Ein genereller „Pharma-Ausschluss“ verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz. 

 


5 | BVerwG, Beschl. v. 14. 03. 2019 – 2 VR 5/18

„Teil-Dienstunfähigkeit: erst Anpassungsoptionen prüfen“
Der 2. Senat hält fest, dass die Untersuchungsanordnung zur Klärung der Dienstfähigkeit nicht isoliert anfechtbar ist – verweist aber zugleich auf die Fürsorgepflicht: Vor einer Versetzung in den Ruhestand sind organisatorische oder technische Hilfen (Home-Office, Supervision, Arbeitszeitmodell) zu prüfen. Erst wenn solche realistisch nicht umsetzbar sind, darf der Dienstherr auf „dauernde Dienstunfähigkeit“ erkennen. 

 


Praxisschlüssel 2025

 

Damit wird klar: Gutachten zu psychischen Störungen im Dienstrecht prüfen Funktionsniveau, Verlauf und Anpassungsoptionen – nicht bloß Diagnosen. Beamte, die in ein solches Verfahren einbezogen werden, sollten daher Therapieverläufe lückenlos dokumentieren und realistische Wiedereingliederungspläne vorlegen; die Gerichte würdigen solche Mitwirkung erkennbar wohlwollend.