Wie bildet das Gehirn eine Sprache?

Spracherwerb verläuft bei Kindern erstaunlich rasch: Noch bevor die Feinmotorik zum Schnürsenkelbinden ausreicht, können viele bereits Laute imitieren, Wörter mit Bedeutung verknüpfen und erste Sätze formen. Gleichwohl variiert die Geschwindigkeit enorm. Im Alter von 18 Monaten besitzen die sprachlich „schnellsten“ Kinder nach Studien mehr als 320 Lexeme, die „langsamsten“ kaum fünf. In den meisten Fällen gleichen sich diese Unterschiede später aus; bleibt der Fortschritt jedoch dauerhaft verzögert, spricht man von einer Sprachentwicklungsstörung – ein Befund, der fast 10 % der Bevölkerung betrifft und mithin langfristige Folgen für Bildung, Erwerbschancen und psychische Gesundheit hat.

Am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik untersucht man, welche neuronalen Lernmechanismen hinter diesen Differenzen stehen. Zentrale Frage: Weshalb sind manche Gehirne beim Spracherwerb effizienter? Ein Schlüsselschritt ist die Segmentierung des kontinuierlichen Lautstroms in Einzelwörter. Bereits wenige Minuten nach Exposition können Säuglinge solche Grenzen erkennen, doch das Ausmaß dieser Fähigkeit differiert. Mithilfe von EEG-Messungen wurde gezeigt: Neun Monate alte Kinder, die später einen größeren Wortschatz entwickeln, zeigen eine reifere elektrische Reaktion (ERP) im linken frontalen Kortex, wenn sie Zielwörter wiedererkennen. Dieser Effekt korreliert signifikant mit dem Wortschatz sechs Monate später – unabhängig von Alter oder Geschlecht.

Neben dieser auditiven Segmentierung existieren weitere prädiktive Marker, etwa die Diskrimination von Vokalen mit sechs Monaten oder die Geschwindigkeit der Wortverarbeitung mit 18 Monaten. Genetische Einflüsse sind belegt: Mutationen im Gen FOXP2 beeinträchtigen artikulatorische Feinsteuerung; Varianten in CNTNAP2 werden mit Sprachstörungen assoziiert. Umweltfaktoren – etwa ein geringes sprachliches Anregungsniveau – können diese genetische Disposition verstärken oder abschwächen. In der Regel interagieren beide Ebenen komplex.

Letztlich nutzt das Gehirn beim Fremd- wie Erstspracherwerb angeborene Sprachnetzwerke: das Broca-Areal für Syntax und das Wernicke-Areal für Semantik. Durch fortlaufende synaptische Plastizität werden ihre Verknüpfungen gestärkt, so dass Vokabular und Grammatikregeln langfristig gespeichert bleiben. Erkenntnisse über diese Mechanismen ermöglichen es Lehrkräften, Sprachtherapeutinnen und Kinderärztinnen, frühzeitig zu erkennen, wann kindlicher Sprachfortschritt außerhalb des zu erwartenden Spektrums liegt und gezielt zu intervenieren.